Tag 11 der Elbwanderung
Heute Morgen ging es nach dem Frühstück um neun Uhr los in Richtung Fähre, denn ich bin auf die andere, die östliche Elbseite gewechselt und wandere nach Dömitz. Die Fähre kam auch nach ein paar Momenten und tatsächlich waren außer mir noch zwei Wanderer auf der Fähre. Sehr ungewöhnlich. Man trifft einige Radfahrer, viele E-Biker, ich möchte das schon differenzieren, auch immer wieder Motorradfahrer, aber Wanderer sind wirklich selten. Ich glaube, die beiden waren die ersten, die ich unterwegs getroffen habe.
Nun haben wir Wanderer natürlich alle eine ähnliche Geschwindigkeit und dass wir uns gegenseitig überholen ist unwahrscheinlich. Das senkt die Wahrscheinlichkeit, Wanderer zu treffen, keine Frage. In diesem Fall war es so, dass wir in entgegengesetzte Richtungen liefen, aber an diesem Morgen alle drei aus Hitzacker kamen. Das Wandererpärchen ging gen Norden und ich gen Süden – grob gesagt – wo die beiden am Tag vorher herkamen. Sie wandern übrigens entlang des grünen Bands. Das ist der ehemalige Grenz- oder Todesstreifen, der auf der Seite der DDR entlang der Grenze verlief. Nach dem Mauerfall wurde das Grüne Band das erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt. Ich kann mir gut vorstellen, dass es eine faszinierende Strecke für Fernwanderer ist. Teilweise wird sie sich wohl mit dem Elberadweg überschneiden.
Erfahrungsaustausch
Unsere Erfahrungen ähneln sich sehr. Wer zu Fuß unterwegs ist, hätte gern manchmal eine Bank, um ein paar Minuten auszuruhen. Die Infrastruktur ist halt einfach mehr auf Radfahrer abgestimmt. Doch die sind schneller und haben einen größeren Radius als Wanderer. Nichtsdestotrotz denke ich, dass auch Radfahrer sich freuen, wenn sie mal eine Pause machen dürfen, aus dem Sattel kommen, zur Abwechslung auf einer Bank sitzen, sich ein bisschen die Füße vertreten können, einen Schluck trinken, eine Toilette finden. Doch da sind die Möglichkeiten auch in Richtung Dömitz eher überschaubar.
So weit die Füße tragen
Keine Einkehr
Ich bin von Bitter aus, wo die Fähre auf der Ostseite der Elbe anlegt, in Richtung eines Radler-Cafés gegangen. Das hat keine Website, das heißt, man muss sich einfach auf gut Glück darauf verlassen, dass geöffnet ist. Was sogar heute, an einem Freitag, nicht der Fall war. Auf der Straße davor standen auch schon zwei Radler und ich wäre ebenfalls sehr gern eingekehrt, musste nun aber weitergehen. Ich habe mir überlegt, dass jetzt lange keine Gelegenheit mehr kommt und ich mir allmählich doch eine Toilette wünsche. Also bin ich mutig auf ein Grundstück gegangen, hab die Haustür gesucht, geklingelt – aber es hat niemand aufgemacht. Aber dann kam ein Auto – und so hat mir das geschlossene Radler-Café zu einer ganz bezaubernden Begegnung verholfen.
Bamberger Kennzeichen
Dieses Auto kam aus Bamberg, was ich kurz merkwürdig fand, aber nicht weiter beachtete, denn ich hatte anderes im Fokus. Ein älterer Herr stieg aus, den ich fragte, ob ich die Toilette benutzen dürfte. Ich durfte! Und dann kamen wir ins Gespräch und es war mal wieder eigentümlich, wie das Universum manchmal ganz verschiedene Lebenswege sich überlappen lässt, auch wenn es nur für ein paar Minuten ist. Der Herr war nämlich Arzt, kam jetzt zwar aus Bamberg, hat aber früher in einem Ort gelebt, in dem auch ich acht Jahre wohnte. Er kannte sogar die große Straße, die an unserem Neubaugebiet vorbeifuhr, wusste, wo die Wiese war, auf der meine Tochter ihr Pferd stehen hatte, kannte den Kreidesee in der Nachbarschaft und hatte in einem nahe gelegenen Ortsteil seine Arztpraxis geführt. Er erzählte mir, wie er an der Fähre immer die wartenden Autos überholen durfte, wenn er zu einem Patienten musste. Er hat dann vorher angerufen, fuhr an der Warteschlange vorbei, rauf auf die Fähre. Allerdings gab es damals noch keine Arztschilder an den Autos. Die wartenden Leute waren schon ein bisschen sauer. Wen könnte es wundern? Das war wieder einmal ein interessantes Zusammentreffen. Ich habe ihm meine Karten da gelassen, vielleicht meldet er sich ja online oder er bittet seine Frau darum. Es war eine sehr nette Begegnung.
Schönstes Wanderwetter
Dann bin ich weiter gegangen. Bin auf dem Deich in Richtung Dömitz gewandert. Herrlich! Wir haben heute herrlichstes Wetter trotz der Unwetterwarnung. Bislang ist es wirklich schön. Es sind Wölkchen am Himmel, aber überwiegend ist es blau. Es ist sonnig. Es ist warm. Ein kleines Lüftchen weht. Einfach großartig zum Wandern. Ich bin auch auf der Wasserseite des Deiches eine Weile auf einem Grasweg gegangen, traumhaft schön, ihr seht es auf dem Video. Dann bin ich wieder auf den Deich raufgekrabbelt und oben gegangen, später wieder auf dem Radweg, der auf der elbabgewandten Seite liegt. Dort sitze ich jetzt auf einer Bank an einem sehr robusten Tisch und genieße meine Pause tatsächlich in der Sonne. Wenn der Wind ein wenig über das Land streicht, ist es besonders angenehm. Endlich kann ich ein bisschen Wasser trinken und hab mich schon über die Dorfrepublik Rüterberg informiert, die in 5,1 Kilometern an meiner Strecke liegen wird. Ich stricke ein bisschen, lass meine Füße sich erholen und so in zwanzig Minuten gehe ich dann weiter und bin gespannt auf die Dorfrepublik Rüterberg.
Morbide Schönheit
Als nächstes komme ich durch Wehningen, einen hübschen Ort in dem ganz zauberhafte Anwesen zu finden sind, aber auch sehr morbide Gehöfte und Gebäude. Eines davon sieht ganz umwachsen aus, zumindest aus der einen Richtung, von der anderen Seite sieht man dann schon etwas mehr von dem Haus und auch weitere, eigentlich schöne Häuser und Höfe. Große Gebäude harren ihrer Restaurierung und man kann nur hoffen, dass diese Projekte bald in Angriff genommen werden. Ich gehe durch den Ort und komme dann in Rüterberg an, einem Ortsteil von Dömitz.
Gespräche am Gartenzaun
Am Ortsanfang steht ein Haus, bei dem die Jalousien heruntergelassen sind und das von einer Wiese umgeben ist. Eigentlich ein schickes Haus und auch die Wiese sieht beschaulich aus. Aber es wirkte so unbewohnt aus, dass ich mich wunderte, warum so ein tolles Haus leer steht. Na ja, und wie es so kommen sollte, trat ein Herr heraus und fragte mich, wohin des Weges und woher ich käme. Er sei jetzt mal neugierig. Das habe ich ihm alles gern erzählt und ihn dann wiederum nach dem Haus gefragt. Die Lösung war ganz einfach, dass sie die Jalousien bei der Hitze herunterlassen, um nicht zu viel Wärme reinzulassen. Das Haus nämlich energetisch optimiert, seine Bewohner glücklich und zufrieden. Wir haben uns ein wenig unterhalten – über Kindererziehung, Gott und die Welt. Solche Gartenzaungespräche sind immer wieder eine willkommene Bereicherung meiner Wanderung.
Rüterberg und seine Geschichte
Nun ging es weiter hinein nach Rüterberg. Das nächste, was ich sah, war das Denkmal. Dort ist ein großer Gedenkstein für die Opfer der Unmenschlichkeit, dahinter sieht man ein Warnschild mit einem Soldaten, der kniet und ein Gewehr im Anschlag hält, daneben ein Stück der ehemaligen Grenzbefestigung. Rüterberg hat tatsächlich eine ungewöhnliche Geschichte. Aufgrund der geografischen Lage war der Ort auf drei Seiten von der Elbe umschlossen. An der vierten Seite gab es, weil Rüterberg geografisch so exponiert war, ein eisernes Tor. Es durfte nämlich nicht jeder in den Ort, man musste sich ausweisen. Das galt auch für die Einwohner. Und von 23 Uhr bis in die frühen Morgenstunden blieb das Tor geschlossen. Die Bewohner waren schon recht stark eingeschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit.
Als die politische Lage sich zuspitzte, ging Rüterberg tatsächlich einen eigenen Weg. Den Einwohnern wurde genehmigt, am 8. November 1989 eine Versammlung abzuhalten. Im Rahmen dieser Versammlung beschloss man, künftig eine Dorfrepublik nach Schweizer Vorbild zu werden. Die Dorfrepublik Rüterberg. Am nächsten Tag, dem 9. November 1989, fiel die Mauer, die Ereignisse überschlugen sich und es kam tatsächlich zu der bizarren Situation, so habe ich gelesen, dass die Bürger der DDR zwar in den Westen reisen konnten, jedoch nicht ungehindert nach Rüterberg. Dieser Zustand hielt glücklicherweise nicht allzu lange an: Schließlich blieb das Tor geöffnet. Teile der Grenzanlagen und ein Wachturm sind erhalten.
Dänische Gepflogenheiten an der Elbe
Nachdem ich an dem Denkmal vorbeigekommen bin, mache ich eine Pause auf einer teilweise eingezäunten Wiese. Dort warten Sitzgelegenheiten auf Besucher, ich telefoniere ein bisschen, ruhe mich aus und als ich diese Wiese wieder verlasse, sehe ich im Augenwinkel ein Schild. „Privatgrundstück. Bitte verhalten Sie sich wie ein Gast, dann dürfen Sie auch gerne wiederkommen. Der Eigentümer“. Das fand ich zauberhaft. Ich bin zunächst vorbeigegangen, aber dann umgekehrt, um das Schild zu fotografieren. Was für eine nette Geste! Es ist ja nicht allgemein üblich, dass Grundstückseigentümer ihre leer stehenden Grundstücke der Allgemeinheit zur Verfügung stellen.
Tatsächlich habe ich den Eigentümer dann auch gesprochen. Der arbeitete nämlich auf dem nächsten Grundstück, das ihm auch gehört, und war damit beschäftigt, die Uferböschung zu sichern. Er hat mir dann erzählt, dass er sich gerne in Dänemark aufhält, die dortigen Gepflogenheiten wertschätzt und die offene Haltung des Landes gern übernommen hat. Leider müsse man die Grundstücke trotzdem abzäunen, weil die Autos sonst bis an den Uferrand parken würden. Aber so ist es eine klasse Lösung.
Ferien im Wachturm
Ein Stückchen weiter kam ich dann auch noch an dem Wachturm vorbei. Er wird inzwischen als Ferienwohnung genutzt. Was für ein Erlebnis, Urlaub in einem Wachturm zu machen.
Angenehm schattig
Ich habe Rüterberg dann Richtung Dömitz verlassen. Es ging ein bisschen durch den Wald, was sehr angenehm war, denn die Sonne war inzwischen doch sehr heiß. Am späten Nachmittag hab ich trotzdem festgestellt, was für einen heftigen Sonnenbrand ich habe. Da der Himmel morgens grau war, habe ich mich nicht eingecremt. Ich hatte also selbst schuld. Aus dem Wald heraus ging es über eine ganz eigentümliche, mit Platten befestigte Straße, deren Belag vermutlich aus Beton war und rechteckige Löcher hatte. Vielleicht, damit der Boden nicht so verdichtet wird. Es ging sich nicht gut auf diesem Untergrund. Die Löcher haben einfach nicht zu meiner Spurbreite gepasst und ich hatte immer Sorge, dass ich irgendwo hängen bleibe oder mich vertrete. Manche der Rechtecke waren nämlich einfach leere Löcher. Diese Betonpiste war übrigens Teil der Deichanlage.
Radler und Biker
Mir kamen nach einer großzügigen Kurve zwei Radfahrer entgegen, es könnten Holländer gewesen sein, die mich fragten, ob es dort zum Elberadweg gehe. Noch während wir miteinander sprachen, preschte doch tatsächlich ein Motorradfahrer mitten durch die Natur. Unglaublich! Ich war wirklich erschrocken und die Dame, mit der ich mich gerade unterhielt, meinte lachend: „Och, der ist aber wichtig!“ Irgendwann hatte ich dann den Großteil dieser Strecke hinter mir, habe noch einmal eine Landstraße überquert und erreichte einen besseren Weg – einen Feldweg, der aber immer noch auf dem Deich verlief. Ich habe mich ins Gras gesetzt, weil ich schon seit einer Weile keine Bank gesehen hatte. Ich aß meine letzten vier Kekse und stellte fest, dass mein Wasser ziemlich am Ende war. Aber es war jetzt nicht mehr weit nach Dömitz. Und wie soll es anders sein: Ich stehe auf, klopfe mir den Staub aus der Jeans, gehe ein paar Hundert Meter weiter und da steht sie, die Bank, auf die ich die ganze Zeit gewartet hatte. Aber jetzt wollte ich nicht noch eine Pause machen, sondern wirklich weiter nach Dömitz. Ich hatte Hunger und Durst.
Gastfreundschaft
Das erste Restaurant in Dömitz war wegen eines Trauerfalls geschlossen, das zweite hatte um sechzehn Uhr geschlossen, also kurz bevor ich den Ort erreicht hatte, aber gleich neben der Kirche gab es ein Café. Wunderbarer Kuchen, ein Cappuccino und eine Rhabarberschorle erwarteten mich. Danach ging es mir schon sehr viel besser. Ich habe auch bald meine Unterkunft, die Pension Sterntaler gefunden, die wirklich zauberhaft ist. Auf dieser Elbtour hatte ich wirklich großes Glück mit meinen Unterkünften. Alle waren sehr nett, die Menschen einfach gastfreundlich. Karin Karstens, die diese Pension bewirtschaftet, hatte gerade das Haus verlassen, als ich kam. Sie ist dann fix zurückgekommen, hat mich begrüßt, den Schlüsseltresor geöffnet und mir kurz alles erklärt. Da fühlt man sich doch gleich willkommen – wie schön!
Abendessen und entspannen
Ich hab ein bisschen Pause gemacht und erst einmal meine Wanderstiefel ausgezogen. Aber ich musste sie wieder anziehen, denn ich wollte ja noch etwas Richtiges essen und einen Blick auf die Festung Dömitz werfen. Leider war ich zu spät, sodass die Festung bereits geschlossen war und ich sie nur von außen anschauen konnte. Vielleicht sollte ich künftig meine Etappen ein wenig kürzer planen, damit ich mehr von den Sehenswürdigkeiten anschauen kann, die entlang der Strecke liegen. Ich denke darüber nach. Allerdings sind bei der Planung auch die Übernachtungsmöglichkeiten ein entscheidender Faktor. Doch wer weiß, möglicherweise lerne ich ja, mir mehr Zeit zu nehmen.
Im Stadtkern von Dömitz gibt es wenig Geschäfte, kaum Lebensmittel, und so bin ich an den Stadtrand von Dömitz geschickt worden, wo es Discounter gibt. Ich habe mir für den nächsten Tag zwei Äpfel und Kekse gekauft, sodass ich für alle Fälle wenigstens ein bisschen etwas dabei habe. Aber nicht zu viel, denn ich muss einfach immer das Gewicht des Rucksacks optimieren. Mein Gewicht muss ich ja nur noch halten, aber das des Rucksacks muss noch runter! Auf dem Rückweg habe ich dann in einem sehr netten Imbissrestaurant einen türkischen Teller mit Schweinefleisch gegessen. Das war zwar merkwürdig, aber ich habe nicht lang nachgefragt, sondern bestellt. Es waren verschiedene Gemüse dabei, der Teller hat mir gut geschmeckt, aber es war viel zu viel – was mir selten passiert, denn ich bin zweifelsohne eine gute Esserin. In der Pension habe ich noch ein bisschen gearbeitet, telefoniert und schließlich ist der Abend mit ein wenig Netflix zu Ende gegangen.
Wer von euch wandert denn auch?
Ich bin ja kaum neugierig, würde aber dennoch zu gern wissen, wer von euch denn noch wandert? Oder wer früher gewandert ist? Welche Strecken geht ihr oder seid ihr bereits gegangen? Ihr wisst ja: Wer es an meiner Seite die Elbe bis hierher geschafft hat, kann mir sehr gern einen Kommentar hinterlassen oder mir eine E-Mail schreiben. Ich freue mich sehr über jede einzelne Nachricht, natürlich auch zu allem anderen, was euch so einfällt!