von Dr. Sybille Kuske
Als ich Kind war, wohnte ich mit meinen zwei Brüdern und den Eltern im oberen Stock eines typischen Bauernhauses am Rand eines vitalen Dorfes. Die Zimmer wurden mit Kohleöfen beheizt. An kalten Tagen gab es Eisblumen am Fenster, insbesondere am Fenster des Flures, der unbeheizt blieb.
Es war eine schöne Zeit. Im Dezember lag Schnee, und wir Kinder gingen mit unseren Schlitten auf die Rodelbahn oder spielten Eishockey auf den zugefrorenen Gänseanger. Wenn wir heimkamen, hängten wir die mit Schneeklumpen verkrusteten Wollhandschuhe an den Ofen im Kinderzimmer und hielten die eiskalten Finger in kaltes Wasser. Das Kribbeln konnte schmerzhaft sein, bevor das Blut die Finger von innen wärmte und sich eine wohlige Wärme über die ganze Hand erstreckte.
Nach dem Abendbrot saßen wir im Wohnzimmer zusammen. In der Adventzeit füllten Weihnachtslieder den Raum. Wir Kinder öffneten das entsprechende Türchen im Adventskalender, den uns die Verwandten aus dem Westen geschickt hatten. Die Schokolade schmeckte wunderbar. Die Eltern holen die alten Spiele aus dem Schrank und wir neckten uns über ein Spiel „Mensch-ärgere-Dich-nicht“. Manchmal hörten wir auch Märchen oder kuschelten uns an den Vater, während die Mutter eine Geschichte vorlas.
Eine wichtige Rolle spielte der Plattenspieler, der uns durch diese Zeit begleitete. Den hatten wir sonst kaum in Betrieb. Mit dem Auflegen der Schallplatte begann das abendliche Ritual. Mutter oder Vater zeigten uns Kindern die Schallplattenhüllen. Eines der Kinder wählte das Märchen des Abends aus. Manchmal legten die Eltern auch einfach eine Weihnachtslieder-Schallplatte auf. Nach dem letzten Ton mussten wir dann ins Bett.
Zu Nikolaus putzen wir unsere Schuhe und stellten sie in das Fenster im Flur. Nie werde ich den Zauber vergessen, der morgens von der brennenden Kerze vor dem vereisten Fenster ausging. Die Flamme spiegelte sich tausendfach in den Eiskristallen. Tannenzweige mit Lametta umrahmten unsere Schuhe, die nun mit Süßigkeiten und kleinen Überraschungen angefüllt waren.
Höhepunkt und Abschluss dieser warmen Zeit war der Heiligabend. Wenn wir an diesem Tag vom Spielen nach Hause kamen und uns gewaschen hatten, zogen wir unsere Festtagskleidung an. Wir aßen Kartoffelsalat mit Bockwurst. Danach wurden die Kinder ins Kinderzimmer gesperrt.
Und während wir Kinder uns ausmalten, was der Weihnachtsmann wohl alles bringen würde, schmückten die Eltern den Weihnachtsbaum, zündeten die Kerzen an und türmten die Pakete unterm Baum auf.
Irgendwann hörten wir ein Bollern auf dem Flur und wussten: Jetzt werden wir geholt! Wir stürmten in die Stube. Der glitzernde Weihnachtsbaum tauchte den ganzen Raum in ein besonderes Licht. Wir Kinder standen kurz andächtig in der Tür, bevor wir uns auf die Geschenke stürzten. Aufgeregt packten wir unsere Sachen aus und zeigten sie stolz den anderen. Am schwierigsten war die Entscheidung, womit man denn nun als erstes spielen sollte. Oder ob man doch lieber etwas Süßes vom Baum naschen sollte?
Wir redeten aufgeregt durcheinander und spielten bis spät in die Nacht. Am Weihnachtsmorgen, wenn die Eltern noch schliefen, schlichen wir Kinder wieder in die Stube und machten noch im Schlafanzug da weiter, wo wir am Heiligabend zu spielen aufgehört hatten.
Schön war’s! Ein großes Dankeschön an Mutter und Vater!